Freitag, 23. März 2012

Super 8

Jahrzehntelang lagen sie unbeachtet in einem Schuhkarton, diese Super 8 Filmrollen, jeweils drei Minuten kurz und ohne Ton.
Ja, so filmte man Ende der 70er, Anfang der 80er des letzten Jahrhunderts.

Irgendwann wurden sie auf VHS, letztes Jahr auf DVD kopiert. Das Notebook wird für geballte drei Stunden zur Zeitmaschine. Vierzig Jahre zurück gerast zur Kindheit, zur Familie und zum eigenen Ich, als das Leben noch unendlich und die Zukunft verheißungsvoll war.
Pilot will ich werden oder Elektriker und heiraten werde ich eine attraktive, intelligente Frau. Sonntags backt sie mir Rhabarber Kuchen.

Die beste Freundin von allen ist neugierig, möchte mehr erfahren über das Leben auf diesem fremden Kontinent, welcher Europa heißt, dessen Bewohner mit Messer und Gabel essen, wo alle schrecklich reich und übermäßig glücklich sind.

Und so liegen wir nebeneinander, die Aircon kühlt die 30 Grad, und wir starren auf 12 Zoll umrahmte Vergangenheit und schauen meiner Familie zu, wie sie im letzten Jahrhundert durch herbstliche Landschaft wandelt.
Jung sieht er aus, der Großvater, der lächelt und an einer Zigarette zieht. Man erkennt ihn durch und durch, es zieht sich in einem zusammen, man hat ihn geliebt.
Dann kommt man selbst ins Bild, ein kleines und scheu wirkendes Kind, ein strenger Scheitel trennt mein dunkelblondes Haar.

"Is that really you?", fragt Binh und wird ganz aufgeregt.
"I think so", antworte ich, denn ich erkenne mich nicht und fühle nichts. Bin mir mit den Jahren wohl fremd geworden und so starre ich weiter und versuche Zugang zu diesem Knirps zu finden, der ich sein soll.

Komprimierte Momente der Kindheit ziehen vorbei, das Elternhaus wird gebaut, die Mutter bügelt im Garten, sie ist jung und schön. Hundewelpen, Reiterhof und Arosa im Schnee.

Und endlich dann, passiert es doch, das mit dem Wiedererkennen.
Der Stiefvater hat mich mitgenommen, nach Afrika. Viel zu jung, kaum Zwölf war ich, in dieses Negerdorf geschleppt, unweit von Ouagadougou in Obervolta, welches nun Burkina Faso heisst.

Warme Cola getrunken, umringt von nackten Negerkindern mit Hungerbäuchen, angstvoll im nicht-hier-sein-wollen und unsere Blicke, 40 Jahre à part, begegnen und verstehen sich. Einig geworden mit dem vergangenen Ich, welches hilflos in die Kamera blickt.

Durch den Tränenschleier hindurch erkennt man, das Leben ist endlich geworden und die Zukunft nicht mehr verheißungsvoll. Die Haare sind weg, der Scheitel auch, nicht Pilot geworden, nicht Elektriker.
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Durchs Leben gemogelt, allein. Und sonntags gibt es, verdammt noch mal, nicht mal Rhabarber Kuchen.

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