Mittwoch, 29. Juni 2011

Broken Dreams, im House of Peace...

Ein Tagträumer bin ich, und dies, seitdem ich träumen kann.
In der Schulzeit habe ich mich aus dem Klassenfenster hinaus geträumt, weit weg von Monsieur Kauthens Konjugationstabelle der irregulären französischen Verben und bin, untermalt von der schönsten und ergreifensten Filmmusik meiner Kindheit, auf meinem Pferd Hatatitla (Blitz) durch die Prärie geritten, eng umklammert von meinem Sozius Nscho-Tschi (Schöner Tag) welche auch die hübsche Schwester des bekannten Appachenhäuptlings W. ist. Wir sind unterwegs um Hadji Halef Omar zu treffen.


Ja, früher, da brauchten wir kein Holodeck. Früher war alles besser. Wir hatten zwar nichts, aber früher war alles besser.
Auch in meinem unruhigen Elternhaus, wo fast immer eine angespannte Atmosphäre herrschte, lümmelte ich als Jugendlicher stundenlang auf dem Schlafzimmerboden herum, um meine erstgekaufte L.P., übrigens das meistverkaufteste Doppelalbum weltweit "The Wall" von Pink Floyd, rauf und runter zu hören.
Dass dieses Album damals (1980) heftige 1.400 Flux (35 Euro) gekostet hat, dieses ist ebenfalls unvergessen (Wir hatten ja nichts).
Und während Roger Waters mit "Mother" oder "Another Brick in the Wall" ("If you don't eat yer meat, you can't have any pudding, how can you have any pudding if you don't eat yer meat?") seine Kindheits- und Kriegstraumata verarbeitet,

There was a time...
There was a time, where voices of artists were too strong to be put behind a wall of fashion and glamour, and where you could show up on stage with oversized shirts and football caps, and where the only thing that mattered was the music and the rush of blood when you heard the guitar solo. Fortunately, in this world of plastics and mediawhores, we still have artists like O'Connor and Waters to represent that time...

reise ich wohlig durch Paralellwelten, lande ruhig und sicher einen mit hysterischen Passagieren vollgepferchten Jumbo-Jet, da die Cockpitbesatzung dummerweise den Fisch gegessen hat, freunde mich in Paris mit Esmeralda und ihrem Glöckner an oder habe Sex mir Danielle K. im Kornfeld.

Danielle K. indes, ist fleischgewordener Traum gewesen, sie ist 14 Jahr, hat goldenes, langes Haar, einen knackigen Hintern der meist in zu engen Jeans eingezwängt ist und sitzt eine Schulbank vor mir, beim Schreiben leicht vorübergebeugt.
Kein Wunder also, dass, unter solchen schwierigen Lernbedingungen beim pupertierenden Jugendlichen Träume heraufbeschworen werden und meine Schulnoten ein Albtraum sind. Ja, Monsieur Kauthen und Danielle K. sind schuld.

Auch heute noch, wenn ich keine Wahl habe, also aus Höflichkeit oder Opportunismus, jemandem zuhören muss, der langweilig ist oder Monologe hält, ist mein Geist auf und davon, zur Entspannung unterwegs auf einem kurzen Erholungstrip. Ich bin dann mal weg und dieses nicht unbedingt auf dem Jakobsweg.

Sehr selten nur bemerkt ein Gesprächspartner, dass ich nicht mehr präsent bin, denn ich bin geübt darin an den richtigen Stellen zu nicken, gelegentlich ein "Ja" oder ein "Wirklich?" einzuwerfen und dem Gegenüber ab und zu ein Lächeln zu schenken.
Bloss nie ein "Nein" riskieren, man müsste es vielleicht begründen. Manchmal allerdings, macht diese passive Haltung den Monolog des Langweilers noch länger, noch zäher, denn er fühlt sich ja verstanden.

Die Bars in Dar es Salaam liegen halbversteckt, so, als wäre es unschicklich Alkohol zu trinken. Vielleicht ist es dies ja auch in dieser moslemischen Gesellschaft und man nimmt Rücksicht auf die Gläubigen und versteckt die Lasterhöhlen.
So liegt ein Hauch des Verruchten im Raum und weil der schwarze Barkeeper eine getönte Sonnenbrille trägt aber nicht Stevie oder Ray sondern Jack heisst, liegt auch der Schleier des Dubiosen, subjektiv bei mir jedenfalls, über alledem.

Traue keinem und niemandem ist Mazungo´s Motto als Alleinreisender und obwohl der kleine Mazungo weiter unten schon länger seinen Entleerungswunsch angemeldet hat, werden meine Getränke weiterhin von mir höchstpersönlich überwacht und dulden keine Abwesenheit, denn Rohypnol ist in Ostafrika rezeptfrei in jeder Apotheke zu bekommen.
So bleib ich hocken, zähle aufmerksam die Getränkeflaschen auf dem hölzernen Regal hinter dem Tresen, damit ich bloss den besoffenen Inder neben mir nicht angucken muss und während dieser unaufhaltsam seine leeren Worthülsen erbarmungslos durch den Raum schiesst, begleitet vom feinen Nieselregen, der aus den Tiefen seiner Mundhöhlen hervorsprüht um sogleich vom violetten Licht der Neonröhre fluoreszierend als Drip-Painting, Jackson Pollock gleich, auf meiner linken Wange zu einem Gesamtkunstwerk zusammen gesetzt zu werden.

Ich kann nur hoffen, dass mein Feind bald geht oder tot umfällt und bis es soweit ist, schaue ich ins Leere und erträume mir die perfekte Bar.
Natürlich gibt es im Leben nicht "die eine perfekte Bar", man hat seine Prioritäten,  je nach Alter, Lebensumständen und sozialer Stellung und das wechselt bekanntlich des öfteren mal.

Mein Tagtraum rast im Bruchteil einer Sekunde nach Südwesten über den afrikanischen Kontinent; ich entscheide mich gegen Capetown, da ist jetzt zuviel Partyvolk unterwegs und so reise ich weiter über den Atlantik bis nach New York, erwähle den Stadtteil Queens, um hier an der 37 th. Avenue, Ecke 11th Street, wo sich sich die "WunderBar" befindet, endlich Stille und Frieden zu finden.

Kaum anzunehmen, dass die "WunderBar", nicht weit vom Vernon Boulevard, so aussieht wie Phillies Eckkneipe am Boulevard of Broken Dreams.
Das wäre die Aussenansicht einer perfekten Bar, wie ich sie mir hier in Dar es Salaam vorstelle. Helles Licht statt Dunkelheit, offen und ehrlich symbolisiert sie Leere, Einsamkeit, vielleicht auch Stillstand, aber gnädige Ruhe wird einem gewährt in dieser Zeitlosigkeit.

Die vier Protagonisten im Bild, also James, Marilyn, Humphrey und ein Barkeeper namens Elvis, ignorieren wir wohlgefällig, da sie in unserem Tagtraum keine Rolle spielen.
Und so treten wir ein, drinnen stellen wir uns ein leicht verändertess Interieur vor und obwohl noch immer minimalistisch eingerichtet, wie es sich für diese Art von Bars gehört, gibt es doch ein Getränkeregal auf dem wir eine Auswahl von Whisk(e)y und Scotch, Gin und Vodka vorfinden, sowie das klebrige, süsse Zeug, welches die Ladies mögen.
Man lässt sich auf einem Barhocker nieder, bequemes Imitatleder in Rot gehalten, als Sitzpolster auf verchromten Stahlstelzen. Ja, viel Chrom und Glas hat diese Bar, nur der Tresen, der ist aus hellem feingeschliffenem Buchenholz.

Es ist angenehm kühl hier drinnen, hier braucht man keine Aircon, denn es ist Herbst und obwohl erst später Nachmittag, fängt es an zu dunkeln. Der Barkeeper begrüsst einen mit einem sachlichen "Welcome Sir", welches mit ein Grund dafür sein könnte, dass ich mir eine amerikanische Bar herbeigeträumt habe, denn heute habe ich keine Lust auf ein "Was soll´s denn sein, mein Herr" oder ein "Ja, bitte?", obwohl Hamburg z.b mit "Le Lion" oder Freiburg mit "Othello" durchaus tolle Cocktailbars zu bieten haben.

Ich bestelle einen "Canadien Club" on the Rocks, "Two Shots, please" und beobachte den adretten Barkeeper wie er sein Messbecherchen aus Edelstahl sorgfältig füllt und das flüssige Gold in ein schweres Scotchglass umfüllt.  Ein "Shot" das sind in den USA 1,5 ounces, also 44 Milliliter und ich erfrage mir 4 Eiswürfel, keinen mehr, keinen weniger, man hat so seine Prinzipien, auch in den Träumen.

Der Barkeeper, trägt schwarze Fliege auf weissem Hemd und das angesteckte Namenschild weist ihn als "Lloyd" aus, ein guter Barkeepername wie ich finde und man ist versucht ihn zu fragen ob er früher im Overlook Hotel gearbeitet hat und ob er sich an Jack Torrence erinnern kann.


Stattdessen aber, schaut man sich die anderen Gäste näher an, ein junges Pärchen welches Cocktails schlürft und sich leise unterhält und ein leicht verlotterter Mittdreissiger, in Anzug und Krawatte der wohl keinen guten Tag an der Wallstreet hatte. Draussen huschen ein paar Fussgänger vorbei, gegenüber parkt ein IPS Truck ein und man sieht Doug Heffernan, wie er eilig in ein Fast-Food Restaurant rennt bevor er nach Hause zu Carrie und zu Arthur muss. Er würde diese Bar nie freiwillig betreten.

Ach, wie ist dieser Tagtraum schön und gerade als ich mir eine Stretch-Limousine herbeiträume, aus welcher eine alternde Diva steigt, sie hat heute ihr kleines Schwarzes an, wird der Traum jäh abgebrochen.

Ich fühle eine klebrige Flüssigkeit im Gesicht, welche mich in die Realität nach Dar es Salaam (House of Peace) zurück katapultiert. Der Inder hat mir tatsächlich seinen Bourbon ins Gesicht geschüttet, denn ich habe wohl vergessen, an den richtigen Stellen ein "Ja", oder ein "Wirklich ?" einzubringen, von einem Lächeln ganz zu schweigen und meine Unterlassungen scheinen ihn in tief in seiner Säuferehre getroffen zu haben.
Schneller als ich, reagiert allerdings Sonnenbrillen-Jack in der Ecke, wie von der Tarantel gestochen ist er zur Stelle und bevor ich den Mund zu einem "No", (warum eigentlich?) formen kann, klatscht es zweimal und Ganesch sitzt mit blutender Nase auf dem Hosenboden. Da wurden wohl soeben 5 Jahre Demütigung gerächt.

Boxing Jack hilft dem Inder auf, indem er ihn an den Ohren hoch- und hinter sich zum Ausgang nachzieht.
Ich gehe ins Bad, wasche Hände und Gesicht, entleere den kleinen Mazungo weiter unten und wasche mich nochmals. Auch hier dieses verdammte violette Licht. Wer denkt sich sowas aus?

Nach meiner Rückkehr ist es angenehm still, Cleaning Jack mobbt fluoreszierende Tröpfchen vom Boden, die den Weg zum Ausgang weisen.
Ich bestelle eine Cola und setze mich an einen Tisch um das Notebook zu starten und in die Tasten zu hämmern.

Mazungo hat noch Zeit, der Akku ist voll und die Fähre nach SansiBar fährt erst in 3 Stunden.


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