Freitag, 29. April 2011

Fieberträume...

Als ich am Ostermontag "nach Hause gehe", die Bezeichnung welche für mich inzwischen am besten auf die "Nyali Chalets" passt, fühle ich mich nicht sehr gut, die Beine sind schwer und schmerzen, mein Kopf dröhnt und das Schlucken fällt mir schwer.

Am Tor werde ich von Thursday, dem Wächter begrüsst, der mich damals vor Methusalem rettete und übrigens deswegen "Thursday" heisst, weil er an einem Donnerstag geboren wurde.
Glück gehabt, könnte man als wissender Daniel Defoe Leser denken, dass er nicht, zumal als Schwarzer, einen Tag später zur Welt kam.

In meinem kleinen Apartment lege mich erschöpft aufs Bett. Die kühlende Aircon empfinde ich als unangenehm und es ist mir auch noch kalt als ich sie ausgeschaltet habe.

Eine gute Gelegenheit meinen Fieberthermometer einzuweihen, die erste Temperatur unter der Zunge gemessen liegt bei 37,4 Grad, die zweite unter der Achsel bei 38,0, bei der dritten Messung im Darm sind es schon 38,5 Grad. Ein viertes Mal traue ich mich nicht mehr.
Eigentlich will ich noch weiter an meinem Blog schreiben aber jeder Satz fällt mir schwer, ich kann mich nicht konzentrieren und sacke weg in einen unruhigen Dämmerzustand.

Irgendwann hat Mazungo jedes Zeitgefühl verloren, unsicher, ob noch wach oder schon durch die Träume gleitend, und obwohl ich weiterhin auf dem Bett liege, scheine ich mich inmitten einer riesigen Maschine zu befinden, deren bronzefarbene Zahnräder, so gross wie Kirchturmuhren, hinter schweren gusseisernen Standhebel thronen; sehe Zahnriemen und unendlich viele Kabel und Leitungen, Ventile die zischend Wasserdampf ablassen, Blasbälge die sich rhythmisch auf und abpumpen, alles dies im Schein oder im Schatten von unzähligen, farbigen Glühbirnen.

Es zischt und raucht einer alten Dampflok gleich und obwohl die Maschine voller Leben ist, scheint dieses ihr nun langsam auszugehen.
Ich weiss instinktiv, dass ich mich kümmern muss, sehe, dass die Zahnräder nicht mehr ineinander greifen, ziehe an Hebeln, lege Schalter um, aber all das bringt nichts, das Zischen wird allmählich schwächer, die Lichter und Lämpchen flackern nur noch müde.
Du träumst, werde wach, werde wach.
Aber es ist Mazungo nicht gestattet aufzuwachen und so muss ich mich weiter mühen, hartnäckig, einem unerfahrenem Uhrmacher gleich es weiter versuchend, dieses komplizierte Werk wieder so einzustellen, dass die Zahnräder wieder greifen, dass alles wieder rund laufen möge, so wie sie es damals, von ihrem Schöpfer, eventuell von einem Tinguely oder Gsellmann erbaut, ihrer Bestimmung gerecht werdend, lange Zeit verlässlich tat.
Nach rastloser Erkundung bin ich mittlerweile überzeugt mich in der Weltmaschine des österreichischen Bauern Franz Gsellmann zu befinden.
Vielleicht ist das Maschinenherz krank, das Atomium, eine verkleinerte Kopie des Brüsseler Originals mit welchem Gsellmann 1958 während der Weltausstellung seinen 23-jährigen Bau begann und es erst kurz vor seinem Tod beendete.

Mazungo, das Atomium suchend, irrt duch Gänge und Schächte, durch Wirrwarr von Kabeln, Leitungen und Dampfschwaden, und irgendwann stehe ich, obwohl auf dem Bett liegend, vor diesem Käfig, ratlos diese erschöpfte, einsame Pigmäe beobachtend, welche müde vor sich hin trottet, gefangen in ihrem Laufrad, der Weltmaschine mit schwindenen Kräften nur noch spärliche Energie liefernd, um es, wahrscheinlich nicht mehr lange, gerade noch so, am Leben zu erhalten.
Ich sehe, dass das Wasserreservoir leer und kein Futter im Trog ist.
Neben der, mit einem schwerem Bügelschloss verriegelten Käfigstür, steht in grossen Buchstaben angeschlagen:

Mit Müch und Blarg harb ich gebaut. Für das so kurze Leben. Gott wirt mich in der antern Welt eine schönere Arbeit geben, das füttern des Mohres, welches Afrika heisst, ist striktens untersagt!"

Der Weisse schaut Afrika zu wie er langsamer und schwächer wird, um schlussendlich erschöpft dahin zu siechen.
Ich bin erschüttert, rufe in den Raum: "Is Africa really dead"?

"Don´t you worry Robert", höre ich eine Stimme und ihr Klang ist fürsorglich: "Africa will survive as it always did and we will also take care of you, but you have to accept my guidance, okay"?

Ich suche nach der Stimme, sehe an meinem Bett einen alten schwarzen Mann sitzen, der komplett in weiss angezogen und auf verblüffende Weise dem Schauspieler Morgan Freeman ähnelt, der in dieser Hollywoodkomödie, in welcher er Gott darstellt, einem armen Tropf den Auftrag erteilt eine Arche zu bauen.
Morgan Freeman schaut mich streng aber gütig, über eine randlose Brille hinweg an.
Ich merke, obwohl mir elendig kalt ist, dass ich Wasserbäche schwitze, mein Körper klitschnass ist, mir wird übel und ich übergebe mich.
Es riecht nach Pfirsich und Sandelholz.

Irgendwann spüre ich eine Nadel in meinem rechten Hinterbacken, spüre angenehme Kühle um die Knöchel und auf der Stirn und höre Stimmen, die beruhigend, wenn auch unverständlich, auf mich einreden.

"Why is Africa not moving forward"?, frage ich nochmals, und Morgan Freeman wiederholt geduldig:
"Don´t you worry about Africa, we are aware of the problem, please Robert, listen to me"!
"But we have to take care of the Worldmachin´s heart first, unterbreche ich ihn trotzig, "there is no drinking water and of course the "Ugali" (Maismehl) which is necessary to feed Africa, must get available again".

Die Maschine ist derweil komplett zum Stehen gekommen, alle Lichter sind erloschen, eine beunruhigende Stille geht von ihr aus und ich hetze verloren durch das Winkelwirrniss ihrer urzeitschwarzen Schächte, ziehe beängstigt an den schweren Hebeln, habe fast die Kraft nicht mehr, sie komplett zu mir herunterzuziehen und einrasten zu lassen.

Aber alle Bemühungen bleiben ohne Erfolg, die Zahnräder wollen nicht zusammenpassen und als ich mich verzweifelt nach Hilfe umschaue, sehe ich dieses kleine Mädchen und ich weiss sogleich wer sie ist.
Ihr langes, mattglänzendes schwarzes Haar, genauso schön wie das ihrer Mutter, hat sie mit einem roten Gummiband zum Pferdeschwanz gebunden.
Sie trägt eine weisse Bluse, einen roten knielangen Rock, weisse Socken hat sie an und rote Plastikschuhe.

Sie spielt dieses Schulhofspiel, Ziffern und Buchstaben auf dem Boden mit Kreide aufgemalt, müssen korrekt abgehüpft werden.
"Himmel und Hölle, spiel ich viel", ruft sie mir zu und stellt dann die gleichsam erwartete, wie gefürchtete Frage:
"Warum hab Ihr mich nicht gewollt"?
"Wir waren noch nicht bereit für ein Kind und auch nicht für die damit verbundene Verantwortung" könnte ich sagen, das hört sich abgeklärt und elegant an, wäre aber nicht die ganze Wahrheit.
"Feige war ich", sage ich, und, schlussendlich: "es tut mir so leid"!
"Cowardly, faint-hearted, poor-spirited, do you understand"?!, übersetze ich es wütend meinem weissgekleidetem Sitznachbarn.
"Yes, I understand", antwortet dieser ruhig.

Ich nicke und beobachte weiterhin mein Mädchen, zwölf Jahre müsste sie jetzt sein und nachdem sie sich hüpfend umgedreht hat sind sind unsere Gesichter nah beieinander.
"Wie hätte ich denn gehiessen"?, fragt sie neugierig.
Vielleicht "Jenny", flüstere ich. "Ja, "Jenny" gefällt mir gut", nickt sie und beginnt freudig eine neue Buchstaben- und Zahlenreihe abzuhüpfen: J-e-n-n-y-1-9-9-7.

Ich schaue zu Morgan Freeman hin, der vorübergebeugt in einem dicken Buch liest, mit seiner Rechten meine linke Hand haltend.
Erst jetzt bemerke ich, dass er nur einen Arm hat. "What happened to you left arm"?, frage ich ihn. "Chopped off in Liberia 1997", meint er mit einer Ruhe und so gütig, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt. Please call LAR bitte ich ihn (Luxembourg Air Rescue).

Irgendwann kommt die LAR mich abholen, spüre wie sie mich in eine Ambulanz schieben.
Ich schaue zurück, es ist tiefnachts, Margret und Thursday stehen am Gate und winken mir nach.
Dann weiss ich nichts mehr, habe keine Erinnerung ausser der, dass der weissgekleidete Morgan Freeman auch im Flugzeug neben mir sitzt, was ich sehr nett von ihm finde.
"An neng Stonnen sid dir doheem", sagt ein Mann in der blauen "Luxembourg Air Rescue" Uniform.
Africa, is my home", sage ich und weiss auch nicht warum ich englisch mit ihm rede.
"Yes, Africa, takes care of you", sagt Mister Freeman. "Rest now, rest and then everything will be fine".

Als Mazungo wieder zu sich kommt, begreifend, dass er sich, dem 70er Jahre Interior-Stil nach, nur im CHL (Centre Hospitalier Luxembourg) befinden kann.

Auf dem Tisch neben meinem Bett, an dem mein weissgekleideter einarmiger Freund wacht, steht auf einem Tablett eine Tasse mit heiss dampfendem Kaffee, wohl erst frisch aufgebrüht, dessen intensives Aroma mir wohlgefällig um die Nase tanzt und langsam aber sicher, den schweren Duft von Pfirsich und Sandelholz verdrängt.

Draussen vor dem Fenster, in der Morgendämmerung, streifen verzitterte, tiefziehende Nebelschwaden schwankend über saftig grüne Wiesen, ich sehe schwarz-weisse Milchkühe und ausgedorrte, einsame Apfelbäume, die, in der noch kalten Morgenluft, geduldig auf den Frühling warten.
D´Heemecht.
Heimat, so, wie sie auch der frisch gebrühte Kaffee symbolisiert, der dem in der Ferne lebendem das missende Zuhause, wenn auch nur für eine Tasse kurz, wieder näher bringt.
Wo sonst kann sich der Mensch zuhausener fühlen, was kann es schöneres geben, überlegt Mazungo, als daheim am heimischen Frühstückstisch zu sitzen, beschützt als Kind oder respektiert als Ernährer, anerkannt als Liebender oder auserwählt als zusammen altgewordener, und sich im morgendlichen Alltagsritual gegenseitig die Kaffeekanne herüber zu reichen.

Der einarmige Morgan Freeman bietet mir Kaffee an.
Liebe und Fürsorge gibt er mir, durchzuckt es Mazungo und die Erkenntnis, den Sinn der Gsellmännischen Weltmaschine nun verstanden zu haben, lässt mich in Gedanken loslaufen, zurück zu der Tastatur, welche  versteckt hinter einem Adler aus Porzellan ein Teil der Weltmaschine ist, tippe J-e-n-n-y-1-9-9-7 ein und drücke erwartungsvoll auf die Return-Taste...

Einige Lämpchen leuchten auf, ein leises noch zaghaftes Zischen aus dem tiefen Inneren, ein Automatismus kommt langsam, noch zögerlich in Gang.

Afrika bekommt Wasser und Maismehl und fängt nach seiner Stärkung an, sich gemächlich weiterzubewegen.

Die schweren Eisenhebel rasten da wo es sein muss, knarrend und bestimmend ein, die Zahnräder greifen fest zwischen stahlharten Zacken, die Zahnriemen fangen summend an die Blasbälger wieder mit Luft zu befüllen, die Glühbirnen zu erleuchten, sowie ein altes verstaubtes Grammophon zum Leben zu erwecken, durch dessen Trichter, knarzend, aber unmissverständlich, die Botschaft der vier Jungs aus Liverpool ertönt:

There's nothing you can do that can't be done. Nothing you can sing that can't be sung. Nothing you can say but you can learn how to play the game It's easy. There's nothing you can make that can't be made. No one you can save that can't be saved. Nothing you can do but you can learn how to be you in time - It's easy. All you need is love, all you need is love, All you need is love, love, love is all you need.

Die Weltmaschine läuft wieder, es ist wieder so ist wie es sein soll und wie es nach Meisters Plan vorbestimmt ist, und als eine leichte Brise, angenehm und kühlend über Mazungo hinwegweht, öffne ich die Augen, bin bei klaren Sinnen und bei vollem Verstand im Hier und Jetzt.

Erstaunt sehe ich Margret im Türrahmen stehen. Sie schaut ungläubig auf die Fernbedienung mit der sie soeben die Aircon eingeschaltet hat.

Neben meinem Bett sitzt ein alter schwarzer Mann, der auf verblüffende Weise dem Schauspieler Morgan Freeman ähnelt. Er ist, bis auf seine schwarz lackierten Schuhe, komplett in weiss angezogen.
Sogar seine Krawatte ist weiss, sein Anzug ist aus Seide.

Er schaut mich, über eine randlose Brille, ohne Strenge, gütig an.
"Welcome back to Life", begrüsst er mich.
"Thank you very much Doctor" sagt Mazungo, "thank you very much!"
"Oh, no, no, no", lacht er, "I am not a Doctor, I am the local Pastor".

Dann steht er schmerzvoll auf, auf die Art wie es nur die alten Leute tun, klemmt die schwere Bibel, die auf seinen Knien liegt unter seinen linken Armstumpf, nimmt zum Abschied noch einmal meine linke Hand und sagt: Everything is fine Robert, the Worldmachine and Africa are running smoothly and you are finaly back in the reality of human life".
"Maybe I will see you next Sunday in church", spricht er noch und geht erleichtert seiner Wege.
Ich schaue Margret an, "How long was the Pastor here, besides me"?

"Since two days and two nights", sagt Margret, "First we called a doctor, we made you wet packs to get the fever down, then we called the Pastor for guidance and spiritual help.
"Wow", sagt Mazungo, auf dem Reisewecker das Datum verifizierend, nicht wissend was er weiter sagen soll.
Thursday kommt und hilft mir aus dem Bett. Ich habe Pudding in den Beinen und bin noch zu schwach um alleine gehen zu können.

Auf dem Weg zum Bad liegen Unmengen von Bettlaken. Nach dem Geruch zu urteilen habe ich mich nicht nur übergeben.
Thursday hält mich fest während ich mich unter der Dusche zitternd einseife ."Team Force" heisst bezeichnenderweise meine Adidas Duschseife.
Mein prüfender Blick in den Spiegel lässt mich erschrecken, mein kleiner zerschrumpelter Körper ähnelt nun dem des grauen Gnoms aus dem Herrn der Ringe.

Thursday, der mich aufheitern will, sagt: " Don´t you worry Rob, you are not Robinson and I am not Friday.
Wir kichern.
Zurück im Schlafzimmer darf ich mich in ein neubezogenes Bett legen.

Endlich finde ich den Weg zu den Worten, versuche mich für die Fürsorge zu bedanken.
"You are among friends, and we take care about you", unterbricht mich Margret, nimmt eine Spraydose und verteilt mit kurzem sporadischem Zischen frischen Raumduft.

Es riecht nach Pfirsich und Sandelholz.


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